Stilproben

 

 
 

 

Von den Nationalsozialisten üblicherweise eingeschmolzen, nahmen die Windsbacher Rimonim einen ganz ungewöhnlichen Weg. Denn eine junge Arbeiterin in der Fürther Silberscheideanstalt mochte sich mit der brutalen Vernichtung jüdischen Kulturguts nicht abfinden und schmuggelte die Gegenstände unter Einsatz ihres Lebens aus der Fabrik. Im Nürnberger Wohnhaus schlummerten die Rimonim bis vor einem halben Jahr auf dem Dachboden der Erben.

Ein bisschen unwohl

Bis die Nürnberger Familie, die ungenannt bleiben will, im Fernsehen einen Film des Historikers Ralf Rossmeissl sah. Ein bisschen unwohl hatte man sich schon gefühlt, mit dem fremden „Judensilber" unterm Dach. So kam Rossmeissl gerade recht, und der erkannte den Wert der Ritualgegenstände, konnte sie den Stiftern zuordnen: Bertha und Jakob Bär Weinschenk aus Windsbach.

Die waren 1942 nach Theresienstadt deportiert worden, auch das fand Rossmeissl noch heraus. Aber dann verlor sich die Spur der alteingesessenen Familie. Ihre Wurzeln lassen sich in Windsbach bis 1690 zurückverfolgen.

Nun kommt das Internet ins Spiel, heutzutage ein wichtiges Instrument der Familienforschung. In den USA machten sich nämlich zwei Brüder auf die Suche nach ihren Ahnen: Daniel Simkovitz (50) aus Boston und Jonathan Simkovitz (45) aus San Francisco. Die beiden Computerspezialisten hinterließen eine Nachricht in einem virtuellen Pool für jüdische Genealogie.

Auch Rossmeissl forschte im Internet und stieß dabei auf die Brüder Simkovitz, die — zur selben Zeit, als hier zu Lande die Nürnberger Familie ihre Schätze unterm Dachboden ans Licht der Öffentlichkeit holte — nach den „Weinschenks aus Windsbach" fahndeten. Ein unglaublicher Zufall, das erkannte der Geschichtswissenschaftler auf Anhieb. Er setzte sofort alle Hebel in Bewegung.

In Windsbach gab es ursprünglich über zehn Familien Weinschenk, darunter Viehhändler und Kleinkreditgeber. Doch die Brüder Simkovitz waren zweifelsfrei die Nachfahren von Bertha und Jakob, den Stiftern, und somit nach jüdischem Recht auch weiterhin die Besitzer der Rimonim.

Jakob, vierfacher Vater, war in Theresienstadt verhungert. „Sanft entschlafen", wie seine Frau Bertha in ihrem Gebetbuch notierte. Dort stehen, fein säuberlich aufgelistet, alle ermordeten Weinschenks: Tanten und Onkel, Nichten und Neffen von Bertha und Jakob. Fast die gesamten Windsbacher Weinschenks waren ausgelöscht worden. Bertha hat überlebt. Sie gehörte zu einem Kontingent von 1200 Juden, die Heinrich Himmler für fünf Millionen Schweizer Franken an die Amerikaner verschacherte. Sie durfte auswandern. Und sie ist die deutsche Oma, an die sich die Brüder Simkovitz aus ihrer Kinderzeit noch so gut erinnern können. Die bis ins hohe Alter arbeitete und werkelte, die gut Kuchen backen konnte und immer nur deutsch sprach. Und die 1964 im Alter von 95 Jahren in Detroit starb. „Wir liebten sie sehr", sagte Jonathan.

Er und sein Bruder mit Frau und Sohn (15) kamen ebenso wie der Weinschenk-Nachfahre Eitan Shilo und Chanan Holzinger (82) aus Tel Aviv in Windsbach zusammen. Auf Anregung von Rossmeissl hat der dortige Heimatverein eine Feierstunde ausgerichtet, um die Rimonim — die beiden Thora-Krönchen — ihren eigentlichen Besitzern zurückzugeben.

Buch fast fertig

Dabei erinnerte Rossmeissl an die mittelalterlichen Ursprünge der Judenverfolgung in Deutschland. Der Historiker hat nach zweijähriger Arbeit ein Buch über die Windsbacher Juden fast fertig gestellt. Titel: „800 Jahre jüdisches Leben in einer fränkischen Kleinstadt". Bei seinen Recherchen hat er auch mit vielen Ortsansässigen gesprochen. Einheimischen, die sich an das blühende Mittelzentrum Windsbach erinnern — damals, als die Juden noch ihren Geschäften nachgingen. Aus den Gemeinden und Kleinstädten des Umlands kamen die Leute seinerzeit zum Einkauf nach Windsbach. Oder, wie es eine alte Windsbacherin formulierte: „Wie die Juden no do woarn, dou hot’s no g’flutscht." 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gäste aus den USA: Daniel (links) und Jonathan Simkovitz sowie dessen 15jähriger Sohn John (Mitte) in Windsbach mit den Rimonim. Foto: Daniela Egetemayer

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